Boßeln 2002 - ein erster Erfahrungsbericht eines Neulings

  • Drucken

Stellen Sie sich vor, eine gebürtige Rheinländerin wird zum ersten Mal in ihrem Leben zu einem Boßel-Wettkampf eingeladen...

Sie ist natürlich sehr erfreut über die Einladung, kann sich aber nichts unter diesem Begriff vorstellen. In einer erster Kurzerklärung erfährt sie immerhin, dass man das Wort mit einem langen „o“ ausspricht, und es sich dabei nicht um einen neuen amerikanischen Unternehmensführungsstil handelt, sondern um eine Sportart.

Bei diesem Sport wird eine Kugel, bestehend aus einem speziellen Holz, dem Pockholz, über eine vorher bestimmte Strecke gerollt oder geworfen.

Diese Erklärung hatte allerdings noch mehr Fragen aufgeworfen und daher war meine Neugierde jetzt vollkommen geweckt. Da meine Familie mit Wissenschaftlern relativ gut versorgt ist, wurde ich, nachdem ich von der besagten Einladung zu einem Boßelwettkampf erzählt hatte, mit wissenschaftlicher Fachliteratur überschüttet und genötigt, diese auch zu lesen. Dabei habe ich sehr interessante Erklärungen zur Verbreitung und Entstehung des Boßelns gefunden, die ich den Lesern an dieser Stelle nicht vorenthalten möchte:

Die Verbreitung des Boßelsports ist nicht, wie man vielleicht aus dem Wort „Friesensport" ableiten könnte, auf Friesland oder Ostfriesland beschrankt. Vielmehr ist der Boßelsport ein internationaler Sport. Es gibt Boßelaktivitäten sowohl in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hessen, als auch in den Niederlanden, Italien, Spanien, in der Schweiz und sogar in den USA.

Der römische Geschichtsschreiber Tacitus (55 bis 116 n. Chr.) berichtet schon in seinem Buch "Germanica", dem wichtigsten Zeugnis der Germanenkunde: "Die Bewohner der Niederelbe verwendeten gegen die römischen Eindringlinge in der Sonne gebrannte Lehmkugeln. Selbst über größere Entfernungen erzielten diese Bewohner eine bemerkenswerte Treffsicherheit, weshalb auch die römischen Krieger diese Kugeln fürchteten."


Lange Zeit ging die Forschung davon aus, dass die Holländer 1634 die Sportart mit nach Norddeutschland brachten, als sie vor einer schweren Sturmflut flüchteten.

In seiner Examensarbeit für die Pädagogische Hochschule in Kiel (Thema: „Die Bedeutung des Boßelns für den Schulsport an der schleswig-holsteinischen Küste") aber ging Klaus Schneider noch einige Jahrhunderte weiter zurück. Er war es, der das weiter oben erwähnte Tacitus-Zitat für die Boßel-Welt entdeckte, in dem von den zimperlichen Römern die Rede ist.

Foto Teilnehmer/innen ziehen Bollerwagen bei Boßeltour

Da die Teilnehmer unserer Boßel-Gruppe nicht mehr zu den durchtrainierten 20-Jährigen gehörten, konzentrierten wir uns auf die 'Spezialdisziplin' Bollerwagen-Boßeln.

Zu Beginn wurden zwei Mannschaften gebildet. Es gab dabei keine Trennung zwischen Alter oder Geschlecht.

Unsere detailliert vorgeplante Wettkampfstrecke führte von Wiemsdorf hauptsächlich über befestigte Wege oder wenig befahrene Straßen hinter dem Deich zur Weser bis zum Ziel in Dedesdorf.
Auf den ersten Metern des Boßelwettkampfes konnte man als Neuling gleich einige entscheidende Details dieses Sports kennenlernen: die Beschaffenheit der Strecke ist ein entscheidender Faktor beim Straßenboßeln. Der Werfer muss Gefälle, Kurven und Spurrillen optimal ausnutzen, um die Kugel möglichst weit voran zu treiben und um zu verhindern, dass die Boßelkugel außerhalb der Begrenzung in einem Graben landet.
Sollte dies doch passieren, gibt es ein eigens dafür angefertigtes Hilfsmittel, mit dem man die Kugel wieder aus dem Graben fischen kann. Gräben gab es leider genug auf unserer Boßeltour...

Die Spieler beider Mannschaften werfen abwechselnd in einer vorher festgelegten Reihenfolge. Durch Los wird entschieden, welche Mannschaft anfangen darf. Geworfen wird von der Stelle, an der die Kugel der eigenen Mannschaft vorher liegen blieb. Besonders interessant waren auch die verschiedenen Wurftechniken der einzelnen Werfer. Die Konzentration, die der Werfer beim Wurf aufbringt, wünschte man sich auch bei den meisten Fußballprofis.

Das Wichtigste hätte ich fast vergessen, das Ziel unserer Boßeltour, der gemütliche Gasthof Deichgraf in Dedesdorf (Anm. des Webmasters: Leider geschlossen ab Okt. 2009). Bei unserer Ankunft war der Tisch für das gemeinsame Essen natürlich schon gedeckt.

Zu unserem Spiel möchte ich noch anmerken, dass das Bollerwagen-Boßeln zur allgemeinen Freude nicht in Stress ausgeartet ist. Die erforderlichen Pausen zur Stärkung wurden genutzt, um die verbrauchten Energievorräte mit Getränken in heißer oder kalter Form aus dem Inhalt des Bollerwagens wieder aufzufüllen.

Fazit: Ich hoffe, dass die Boßel-Wettergötter auch in der kommenden Saison wieder gut gelaunt sind und uns strahlenden Sonnenschein wie in diesem Jahr bescheren. Ich freue mich schon auf die nächste Boßeltour!